Ulrich Bischoff über Wolfgang Koethe (ARTIST-Kunstmagazin, 17/18, 1993)

Ulrich Bischoff über Wolfgang Koethe (ARTIST-Kunstmagazin, 17/18, 1993)

„Bilder auf Holztafeln und Bilder auf Leinwänden“, so ließen sich knapp und prosaisch die Gemälde aus dem Themenfeld „Schachturnier“ und „Transportwesen“ („Trucks and Ladder“) untertiteln. Ein kurzer Hinweis zu biographischen Entstehungsumständen scheint angebracht, bevor wir uns dem Werk im Detail zuwenden. Nach einer kurzen Studienzeit an der Kunsthochschule Düsseldorf und einem längeren Aufenthalt an der Hochschule der Künste in Westberlin erhielt Koethe als Meisterschüler von Johannes Geccelli ein Stipendium des British Council für die St. Martin’s School of Art in London. Zentraler Untersuchungsgegenstand seiner Studien waren sämtliche Fußballstadien der ersten Fußballiga auf der Insel. Die permanente Präsenz von Sportdarstellungen in Zeitungen, auf Titelseiten und Werbeflächen verstärkte das Interesse bei Koethe für Helden und Heldenverehrung („Hero and Heroworship“). Ein überzeugendes wie exemplarisches Beispiel für diese Beschäftigung ist das Bild „1966“, das die Aufstellung der beiden Nationalmannschaften von Deutschland und England vor dem Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft aus dem Jahre 1966 zeigt. In merkwürdig unbeholfener Art sind die Spieler (Kämpfer) der beiden klassischen Fußballnationen angetreten. Noch sind individuelle Eigenarten zu erkennen. Insgesamt dominiert die Aufreihung der Figuren mit ihren verschiedenfarbigen Trikots. Die miterlebte Geschichte des dramatischen Fußballspiels und die vereinfachte Formensprache einer

Bilderbuchwelt vermischen sich zu einem Gemälde aus Leichtigkeit und Spannung.

Die Aufstellung der Nationalmannschaften als Orientierungsmuster, gewissermaßen als Urform der Koethe’schen Gruppenbildnisse, verweisen direkt auf den inhaltlichen Kontext, der sich aus der Wahl dieser Form ergibt. Gruppenbildnisse mit dem Ziel, die Zusammengehörigkeit und das Gemeinsame gegenüber der Individualität zu zelebrieren, geraten bei Koethe zu Sinnbildern der verschwiegenen, von unsichtbaren Machtstrukturen erzwungenen Harmonie. Gerade in ihrer sorgfältigen Übersetzung, Vereinfachung von der Vorlage, dem tatsächlichen Gruppenfoto, zu einem farbigen Gemälde unterscheidet sich die Arbeitsweise Koethes etwa von der des Künstlerteams Clegg & Guttmann, z.B. „The Financiers“. So zeigt „The Red Room“, von 1991, die „Großmeister des königlichen Spiels etwa in dreiviertel Lebensgröße. Mit ihren vereinfachten Gesichtern und ins Formale erweiterten Physiognomien erhalten sie eine Starre und beinahe geheimnisvolle Unberechenbarkeit, die der Darstellung eine Spannweite gibt, die zwischen einem Regierungsporträt und der Mafia pendelt. Betrachtet man die Gemälde genauer, so findet man im konzeptionellen und materiellen Aufbau des Bildes die Ursachen für die so beschriebene Wirkung. Den Ausschnitt wählt Koethe im Wesentlichen nach klassischen kompositionellen Gesichtspunkten. Besondere Aufmerksamkeit widmet der Künstler der

körperlichen Wirkung seiner Porträtierten. Ich habe den Eindruck, dass er hier zwischen den verschiedenen Möglichkeiten in der Malerei ausgewählt und dann eine ganz eigene Möglichkeit gefunden hat. Indem er das Foto als Ausgangspunkt benutzt, steht ihm der traditionelle, vom Aktstudium kommende Weg des anatomischen Aufbaus nicht zur Verfügung. Andererseits hat er auf die in der Plakatmalerei häufig angewandte oberflächliche Modellierung verzichtet. Um der vom projizierten Foto entstehenden starken Flächigkeit zu entgehen, hat Koethe auf eine uralte, in der klassischen Malkunst entwickelten Methode zurückgegriffen, die er selbst durch das genaue Studium – vor allem in der National Gallery, aber auch in deutschen Museen – der Malerei von Veronese, Velazquez bis hin zu Max Beckmann sich neu erarbeitet hat: die Kunst der Untermalung. Nur durch die sorgfältige Untermalung erhält die Farbe an der Oberfläche eine räumliche Tiefe, die das Unauslotbare und Geheimnisvolle der Wirkung verursacht. Mit den drei genannten Bausteinen, der sorgfältigen Wahl des Ausschnitts, der intensiven Untermalung und auch der Entscheidung für eine angemessene Dimension hat Koethe diesen neuen Typus des Gruppenbildes geschaffen. Merkmale dieser neuen Bildergruppe sind so widersprüchliche Eigenschaften wie großzügige Eleganz, Beklommenheit und Anonymität des Vertrauten.

Neben diesen aufwendigen großformatigen
„Gruppenbildnissen“ entstanden in den letzten Jahren etwas kleinere, dafür aber durch die Wahl des Malgrundes Holz monumental wirkende Einzelfiguren. Ausgangspunkt sind wieder fotographische Bilder: Alte Prospekte der Transportfirma Slingsby zeigen ihre Fachleute bei der Arbeit. Männer bewegen mit besonderen Vorrichtungen, eben den angebotenen Transporthilfen, wie beispielsweise Karren, alle möglichen Kisten, Kasten und Säcke. Indem Koethe diesen Männern ihre Gerätschaften einschließlich der dazugehörigen zu bewegenden Güter wegnimmt, werden sie zu eigentümlichen Helden der Arbeit. Gleichwohl sehen die Bewegungen, die sie anscheinend mit größter Professionalität ausführen – nun ihres Sinnes beraubt- wie überflüssige Gymnastische Übungen aus. Darauf zielen ein wenig die Titel, die Koethe ihnen gegeben hat: „The Grasshopper“, „The Sunsetter“. Ebenso zielen die Titel aber auf den farbigen Fond, auf dem sich diese absurde Gebaren abspielt: das grüne Plateau („Grasshopper“), der blaue Grund (“The Inkman“), das goldgelbe Feld des Hintergrundes beim „Golden Oldie“. Die teils spöttisch, teils liebevoll gemeinten Titel („Nicknames“) deuten die überflüssige Emsigkeit, die vergebliche Anstrengung ihrer Träger an. Sie verrichten ihre Tätigkeit wie ältere Männer bei der Krankengymnastik. Dazu kommt die farblich meisterlich ausponderierte Intensität der still leuchtenden Farben. Die Körper sind trotz ihrer Eingebundenheit
in einer als überflüssig und äußerst banal geschilderten Aktivität – in einem der Freizeitgesellschaft üblichen Aktivismus – mit einer an die italienische Renaissance-Malerei, etwa eines Giotto erinnernden Würde dargestellt. Hervorgerufen wird der Eindruck der Festlichkeit durch die künstlerische Behandlung, deren wichtigste Bausteine die Unterzeichnung, die stoffliche Farbe und der feste leuchtende Grund sind. In dieser beinahe pathetisch moralisch zu bezeichnenden Aufladung liegt das Besondere der Malerei von Koethe. Wir begegnen einer irritierenden, weil scheinbar am falschen Platz angetroffenen strahlenden Würde, die uns fragen lässt nicht nur nach der Herkunft dieser Figuren, sondern auch nach den Wurzeln der Malerei selbst.